Film-Review „Mulan“

von Niki Caro
mit Yifei Liu, Jet Lit, Donnie Yen

mulan bild

Als ob „Star Wars“, Marvel, Pixar und jetzt auch 20th Century Fox noch nicht genug wären, scheffelt Disney seit einigen Jahren auch jede Menge Geld mit Neuauflagen oder Fortsetzungen eigener Klassiker an den weltweiten Kinokassen. Zumeist handelt es sich um Realverfilmungen alter Trickfilme, die an das kollektive Nostalgiegefühl des Publikums appellieren und bislang geht die Rechnung finanziell exzellent auf: Die meisten dieser Projekte entpuppen sich als echte Megahits, mit Beispielen wie „Aladdin“ oder „Die Schöne und das Biest“, die jeweils über eine Milliarde US-Dollar einspielten.

Mit „Mulan“ geht das große Recycling fröhlich weiter beim Mäusekonzern. Der Film von Niki Caro kann nach einer langen Verschiebung wegen der vorangegangenen Coronakrise endlich das Publikum erreichen – allerdings nicht mehr auf der großen Leinwand, sondern bei Disney+. Fans können sich freuen, dass das Warten endlich ein Ende hat, denn allen Verantwortlichen ist ein Werk gelungen, das sogar das Original in den Schatten stellt.

Die Handlung ist in ihren Grundzügen identisch mit dem Trickfilm von 1998: Weil sich das Kaiserreich China gegen eine neue Bedrohung zur Wehr setzen muss, soll sich von jeder Familie ein Mann zum Kriegsdienst melden. Da aber Mulans Vater eben nur Töchter hat, meldet er sich freiwillig, obwohl er seit einem vorherigen Krieg nicht mehr richtig laufen kann. Eine erneute Schlacht würde seinen sicheren Tod bedeuten und deshalb stiehlt sich Mulan eines Nachts als Mann verkleidet davon, um an seiner Stelle der Armee beizutreten. Dort nicht aufzufliegen, entpuppt aber schon bald als das geringste Problem …

Wird etwas in der Welt der Videospiele neu aufgelegt, unterscheidet man gemeinhin zwischen einem Remaster oder einem Remake. Bei Ersterem handelt es sich um exakt das gleiche Produkt mit aufgehübschter Grafik, bei Letzterem kommen durchaus mehr Änderungen und künstlerische Freiheiten zum Tragen. Wenn ich ein wenig zynisch sein will, würde ich „Der König der Löwen“ von 2019 eher als Remaster bezeichnen. „Mulan“ hingegen ist wirklich ein Remake.

Denn wenngleich Titel, grober Plot und Hauptfigur identisch sind, so haben Regisseurin Caro und ihr Team doch jede Menge Änderungen vorgenommen. Einige von ihnen machten zunächst gerüchteweise schon im Vorfeld die Runde und wurden nach und nach bestätigt, was durchaus auf kritische Stimmen seitens der Fans stieß und auf die an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden soll. Aber eines steht fest: Nahezu jede Abweichung vom Original stellt eine weise Entscheidung dar. Caro und die vier (!) Drehbuchautoren Rick Jaffa, Amanda Silver, Elizabeth Martin und Lauren Hynek haben sich das Original ganz genau angeschaut und filterten den emotionalen Kern der Handlung sowie das Potenzial zu epischen Actionszenen heraus und stellten diese Elemente in den Mittelpunkt, indem sie diese vertieft haben. Zudem haben sie neue Ideen hinzugefügt.

Knapp eine halbe Stunde länger geht der neue „Mulan“-Film und jede zusätzliche Minute ist ein Gewinn. Die längere Laufzeit wird in noch mehr Action und die tiefergehende Erörterung der Gefühle investiert, wodurch sich erzählerisch ein angenehmer Ernst entfalten kann. Zwar gibt es noch die ein oder andere humoristische Einlage, doch ein unkomplizierter Familienspaß sieht anders aus – und das ist gut so. Schließlich ist die Geschichte an sich alles andere als witzig und zum gefühlt ersten Mal bei einem Disney-Remake scheint man das auch verstanden zu haben. Passend dazu erhielt „Mulan“ eine überraschend hohe Altersfreigabe ab 12 Jahren von der FSK. Tatsächlich geht es mitunter ordentlich zur Sache und sogar etwas Blut wird vergossen.

Deshalb war auch kein Platz mehr für allzu komödiantische oder musikalische Aspekte des Zeichentrickfilms, andere Bausteine wiederum wurden verändert und verschoben. Das wird vielen Fans sauer aufstoßen, da ihr Durst nach Nostalgie damit gleich weit weniger gestillt wird, als bei anderen Neuverfilmungen. Trotzdem sollten sie auch diesem Beitrag eine Chance geben, denn als eigenständiges Werk funktioniert die neue „Mulan“ ausgezeichnet. Dabei behilflich ist eine erlesene Besetzung, die von Yifei Liu angeführt wird. Die Hauptdarstellerin sieht nicht nur aus wie die Titelfigur, sondern gibt auf allen Ebenen eine tolle Darbietung ab – leise, dramatische Szenen meistert sie gekonnt wie Actionszenen. Der übrige Cast, in dem sich Veteranen wie Donnie Yen, Gong Li, Jet Li und Jason Scott Lee tummeln, steht dem in nichts nach und legt dabei die genau richtige Portion Pathos an den Tag.

Die Schauspieler sind klasse, die Erzählung einfühlsam. Doch ausgerechnet inszenatorisch ist noch deutlich Luft nach oben bei dieser teuren Produktion mit einem geschätzten Budget von 200 Millionen US-Dollar. Während Ausstattung und Kostüme mit Prunk und Aufwand beeindrucken, sorgt das Zusammenspiel aus Kamera und Schnitt beizeiten für Kopfzerbrechen.

Nun ist es gängige Praxis, dass in Hollywood und auch anderswo die Kamera etwas wackeliger geführt und zugleich die Schnittfrequenz in Actionszenen erhöht wird, um zum Beispiel athletische Defizite der Darsteller zu kaschieren. Das macht das Endresultat nicht besser, ist aber zumindest verständlich. Auch in „Mulan“ geht es visuell des Öfteren recht hektisch zu. Wenn jemand wie Yifei Liu im Geschehen ist, mag das noch seine Berechtigung haben, aber bei einer Kampfkunstlegende wie Donnie Yen ist das geradezu unverzeihlich. Yen kann wirklich kämpfen, seine ganze Filmkarriere und seine internationale Reputation beruhen darauf. Dass Caro und ihre Kamerafrau Mandy Walker nicht mal einen Schritt zurückgehen konnten für einige übersichtlichere Aufnahmen, ist ärgerlich.

Aber auch abseits des Schlachtengetümmels irritiert „Mulan“: Eine Dialogszene verwirrt mit sehr schnellen Schnitten, um auch ja von jeder anwesenden Figur eine Reaktion ins Bild zu bekommen. Gleich zu Beginn sieht man, dass eine Kamerafahrt eigentlich noch länger andauern sollte, um etwas zu zeigen, doch da wird seltsamerweise weggeschnitten. Zudem schien man darauf bedacht zu sein, der Notwendigkeit von teuren Computereffekten aus dem Weg gehen zu wollen – gleich mehrmals kommen Cuts oder Kamerabewegungen zum Einsatz, um eine bestimmte Aktion nicht im Bild zeigen zu müssen. Bei einem Film dieser Preis- und Prestigeklasse wirkt diese kostensparende Methode reichlich seltsam. Der insgesamt positive Eindruck wird durch diese Makel ein wenig geschmälert.

Fazit:“Mulan“ ist eine der besten Disney-Neuverfilmungen bislang – und wäre sogar noch viel besser, wenn die Inszenierung ein wenig sauberer wäre.

7/10

 

 

Bildnachweis: Disney